Was bedeutet für dich Vertrauen?

Vertrauen fängt bei mir selbst an. Welches Vertrauen habe ich in mich selbst? Welches Vertrauen habe ich in meinen Wert, meine Qualitäten, in mein Bewusstsein, in meine Mittel und Werkzeuge?

Jeder Mensch ist einzigartig und jeder Mensch hat seinen ganz eigenen Wert. Ganz wesentlich ist, dass wir unsere Einzigartigkeit erkennen und ihr wirklich vertrauen. In unserer modernen Welt ist alles vergleichbar geworden und alles wird in Geld oder Macht gemessen: Wie viel ist es wert und wie viel Macht bringt es? Danach wird dann gemessen, welcher Wert jemandem zukommt. Aber das kann nicht der Maßstab sein, denn alles hat seinen Wert. Auch der Stein, den ich auf einem Feld finde – natürlich hat der Wert, genauso wie die Blätter, die von den Bäumen fallen – auch wenn die mir niemand abkaufen würde.

Für uns als Menschen ist es ganz entscheidend, dass wir unseren eigenen, einzigartigen Wert erkennen, denn das ist die Basis unseres Vertrauens. Diesen Wert verorte ich in der Mitte meines Körpers zwischen dem, was ich empfange und was ich schenke. Für mich heißt lieben = empfangen. Mein Herz empfängt – das ist meine Liebe. Mit meinem Solar Plexus schenke ich – das ist mein Mitgefühl. Und zwischen Schenken und Empfangen ist mein Vertrauen: Ich vertraue in meinen Wert.

Je mehr ich empfange, umso mehr kann ich auch schenken. Nur leider machen wir unseren Wert an Äußerlichkeiten fest. Wir lassen uns von der Außenwelt leiten und nicht von dem, was wir in uns finden können.

Wir werden in unserer Gesellschaft damit groß, dass wir uns ständig vergleichen. In der Schule mit unseren Noten, später mit unserem Einkommen und entsprechenden ­Statussymbolen. Wer da schlecht abschneidet, wird als Loser abgestempelt. Wie soll man da Vertrauen lernen?

Das ist tatsächlich ein großes Problem. Wir haben 21 Jahre, um erwachsen zu werden. Und natürlich ist es für den Prozess des Erwachsenwerdens sehr wichtig, wie unsere Umgebung mit uns umgeht und inwieweit unsere lebenswichtigen Bedürfnisse befriedigt werden. Das sind vor allem vier Bedürfnisse: Zuwendung, Anerkennung, Liebe und Sicherheit. Werden diese Bedürfnisse des Kindes befriedigt, dann wird das Kind auf ganz natürliche Weise um seinen Wert wissen, der nichts mit dem Außen zu tun hat. Aber meistens werden wir eben damit groß, dass wir uns vergleichen, und dann suchen wir nach Bestätigung durch äußerliche Erfolge. Wir wollen unseren Wert unter Beweis stellen. So werden wir abhängig von anderen und manipuliert. Deswegen müssen wir lernen, in die andere Richtung zu schauen, nach innen. Unser tatsächlicher Wert liegt dort

Du sagst also, dass es bei jedem Menschen diese Grundlage gibt, auf die er aufbauen kann?

Auf jeden Fall. Allerdings ist es sicher so, dass dieser Prozess viel leichter ist, wenn unsere essenziellen Bedürfnisse als Kinder befriedigt wurden. Dabei ist vielleicht das wichtigste Element für ein Kind ein Gefühl von Sicherheit. Die Eltern sind für das Kind da und lassen es doch gleichzeitig seinen Weg gehen. Und wenn etwas schiefgeht, dann sind sie da. Wenn die Eltern dem Kind kein Gefühl von Sicherheit geben, wird es Ängste entwickeln. Sein Gefühl von Selbstwert steht in Bezug zu dem Vertrauen, das ihm entgegengebracht wird. Dass man es für das anerkennt, was es ist: „Du bist gut, so wie du bist und ich habe Vertrauen in dich!“ Auf der Basis kann sich Vertrauen entwickeln.

Hat man das in seiner Kindheit nicht erfahren, ist es natürlich schwieriger. So war es auch für mich. Ich wurde als uneheliches Kind geboren. Auf dem Lande, wo wir lebten, hatte ich damit erst mal einen schweren Stand. Aber dann habe ich erfahren, dass ich genauso meinen Wert habe. Ich habe gelernt zu sagen: „Okay, dann bin ich halt ein Bastard, aber ich habe meinen Wert und darauf vertraue ich.“

Du bist also ein Beispiel für Resilienz, das heißt, für die ­Fähigkeit, aus schlechten Umständen das Beste zu machen?

Das kann man so sagen, wobei ich gar nicht weiß, ob die Umstände tatsächlich schlecht waren. Sie waren schwierig, aber nicht schlecht. Sie können nicht schlecht sein, wenn man sie zu nutzen weiß. Wer Vertrauen in sich hat, kann alles Schwierige auch transformieren. Ich war früher Koch und dann wurde ich Heiler. Dafür musst du Vertrauen in dich haben. Natürlich war das schwierig, weil ich kein Diplom und keine Zeugnisse hatte. Es gab einige Ärzte, die von meinen Fähigkeiten überzeugt waren, und sie haben mich ermutigt. Und ich selbst hatte dann das nötige Vertrauen in mich, um als Heiler zu arbeiten.

Was bedeutet Vertrauen im Heilprozess? Wenn man schwer krank wird, ist das ja oft verbunden mit dem Gefühl: „Mein Körper hat mich im Stich gelassen!“ Und das ist eine riesige Enttäuschung.

Es geht darum zu verstehen, dass man durch Krankheit nicht an Wert verliert. Dass man sich selbst weiter vertrauen kann – genauso wie der Existenz, die einem dieses Schicksal gegeben hat. Das ist eine noch größere Dimension, nicht nur sich selbst zu vertrauen, sondern auch der Existenz.

Ich habe zum Beispiel lange Zeit mit einer jungen Frau gearbeitet, die blind war. Sie hatte eine eigene Praxis als Osteopathin und war sehr gut in ihrem Beruf. Aber natürlich war sie auch wütend auf ihr Schicksal – vor allem auf ihre Eltern, die trotz ihrer Verwandtschaft als Cousin und Cousine ein Kind gezeugt hatten.

Als ich ihr dann sagte: „Deine Blindheit ist ein Geschenk der Existenz“, war sie schockiert. Ich habe ihr versucht zu erklären, was ich meinte. Natürlich ist so eine Krankheit eine Behinderung, aber die Existenz ist Liebe. Sie wird dir nichts geben, für das du nicht auch Antikörper hast. Sie wird dir immer auch die Mittel geben, deine Krankheit zu transformieren. Sie hat dir den freien Willen dazu gegeben. Und es liegt an dir, ob du ihn benutzt, um anders mit deiner Krankheit umzugehen und lernst, sie zu akzeptieren.

Heilen heißt dann in diesem Fall, nicht wieder sehen, ­sondern zu lernen, mit der Blindheit zu leben?

Absolut! Du wirst niemals wieder sehen, aber im Inneren wirst du anders leben können. Natürlich hat man selber immer gut reden, wenn man nicht krank ist. Vielleicht bin ich morgen selber schwer krank und dann werde ich mich hoffentlich an all das erinnern, was ich dir heute sage. Ich benutze häufig ein Bild: Unser Körper ist wie ein Ballon und die Existenz ist die Luft, die den Ballon füllt. Sie ist also in unserem Inneren. Beides gehört zusammen und bildet eine Einheit. Deswegen ist es wichtig, der Existenz und dir selbst zu vertrauen.

Ich kannte einige Leute, die das Gleiche gesagt haben, nur leider haben sie es vergessen, als sie selber krank wurden. Das kann mir natürlich auch passieren. Hoffentlich werde ich mich dann wieder an diese blinde Frau erinnern; sie hat tatsächlich ihr Leben verändert. Sie hat gelernt, ihre Blindheit zu akzeptieren und sie nicht mehr zu bekämpfen. Sie konnte auf einmal wahrnehmen, wie viele neue Dimensionen durch die Krankheit in ihr Leben gekommen waren. Sie kam in Kontakt mit Osho und mit den Sannyasins – sie erfuhr eine ganz neue und viel tiefere Dimension ihres Seins. Dafür war sie dankbar. So konnte sie sich selbst ganz neu erfahren und wusste, dass sie jetzt anders leben und später vielleicht auch anders sterben wird.

Vertrauen kann dann letztlich auch heißen, den tödlichen Ausgang einer Krankheit zu akzeptieren?

Ja, auf jeden Fall! Der Tod ist Teil der Realität und er kann ja auch eine Erlösung sein. Wenn ich gelernt habe, auch hier der Existenz zu vertrauen, wird es leichter, in Würde zu sterben. Wie werde ich die letzten Sekunden erleben und mit welchem Bewusstsein werde ich sterben? Kann ich im Bewusstsein meines eigenen Wertes sterben?

Wo siehst du den Unterschied zwischen Vertrauen und ­Hoffnung?

Hoffnung ist wie ein Sieb, da kannst du alles reinschütten, aber überall sind auch Löcher. Hoffnung zielt auf die Zukunft – Vertrauen richtet sich auf die Gegenwart. Die Hoffnung sagt: „Ich hoffe, ich werde wieder gesund!“ Natürlich kann das helfen. Hoffnung lässt dich glauben, Vertrauen gibt dir Bewusstsein; es sagt: „Was immer geschehen mag, ist in Ordnung!“ Das ist ein großer Unterschied. Hoffnung ist der unerreichbare Stern – das ist die Vision von Don Quichotte. Vertrauen hat kein Ziel, aber der Weg ist da. Und um diesen Weg zu gehen, brauche ich Vertrauen in mich und in meinen Wert.

Was sagst du zu einem Schwerkranken, der zu dir kommt und sagt „Ich habe Vertrauen, dass du mich wieder gesund machen kannst“?

Ich würde ihm sagen: „Wenn du Vertrauen in mich hast, ist das wunderbar – für dich, nicht für mich!“ Manche Leute sind in Lourdes geheilt worden oder auch bei mir. Aber es ist doch nicht der Ort oder Manish, der die Person heilt – es ist die Person, die sich geheilt hat, weil sie Vertrauen hatte. Viel entscheidendener ist also das eigene Vertrauen, nicht das Vertrauen in den Heiler. Das Vertrauen in den Heiler kann leicht in eine Abhängigkeit führen. Dann werde ich von ihm abhängig und verliere dabei meinen eigenen Wert. Deswegen sage ich häufig zu meinen Klienten: „Du begegnest mir mit einer Wertschätzung, das ist schön. Viel wichtiger ist aber, dass du lernst, deinen eigenen Wert wertzuschätzen. Mein Wert wird dir nichts nutzen, es ist dein Wert, der wichtig ist!“

Wenn ich das Vertrauen in meinen eigenen Wert verliere, richte ich mich nach Außen und versuche mein Vertrauen dort zu verankern. Und genau damit spielen die meisten Religionen. Sie sagen: „Habt Vertrauen zu uns (nicht in dich selbst)!“ Da war Osho anders – er hat immer betont: „Vertraue dir selbst und der Existenz, dann hast du alles, was du brauchst!“

Quelle: Osho Times, 01/2018, www.oshotimes.de.